Teplitzer Hütte mit Dolomitenpanorama | © DAV Sektion Altdorf - Volker

Bergwanderwoche 2024

mit Öffis: vom Passeiertal ins Stubaital

28.07.2024

Bereits die Überschrift unserer diesjährigen Bergwanderwoche versprach Abenteuer zumindest in zweierlei Hinsicht. Kommt man tatsächlich mit 12 Teilnehmern rechtzeitig mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Startpunkt im Passeier Tal?

Und ist die geplante Überschreitung des Alpenhauptkamms ins Stubaital einschließlich der Besteigung des „am Weg liegenden“ Wilden  Freiger mit seinen 3400 m nicht etwas zu sportlich für die Teilnehmenden der alljährlichen Bergwanderwoche? Um es vorwegzunehmen: ja, es waren zwei Abenteuer, und beide gelangen außerordentlich gut. Aber der Reihe nach.

Die Teilnehmerliste komplettierte sich exakt einen Tag vor dem Start, nachdem es wegen Verletzungen, aber auch oben genannter Bedenken im Vorfeld einige Abmeldungen, im letzten Moment aber sogar eine überraschende Anmeldung gegeben hatte. Sechs Frauen uns sechs Männer im Alter zwischen 21 und 72 Jahren (auch das ist außergewöhnlich) trafen sich am Sonntag frühmorgens in Feucht. Die Deutsche Bahn hatte fünf Tage zuvor bekanntgegeben, dass mangels einsatzbereiter Züge der von Nürnberg nach München fahrende RE1 bereits in Ingolstadt enden würde. Der von Ingolstadt nach München fahrende Anschlusszug hätte auf die Minute pünktlich sein müssen, um den ursprünglich geplanten Zug nach Kufstein zu erreichen. Doch nahezu erwartungsgemäß wurde er erst 25 Minuten später bereitgestellt, wie das im Jargon der DB so schön heißt.

Der Organisator der Fahrt, Gunther Reichenbach, hatte deshalb bereits einen Plan B auf dem Smartphone. Dieser bedeutete, dass der Startpunkt Schneebergbrücke im Passeier Tal erst zwei Stunden später erreicht werden würde. Ein kurzer Anruf auf dem Schneeberghaus genügte: Selbstverständlich würden wir auch um 20 Uhr noch etwas Warmes zum Essen bekommen. Mit dieser Antwort entspannte sich die Lage für die Reisenden merklich, froh gestimmt fuhr man mit dem nächstbesten Regionalzug nach Kufstein, dann weiter nach Innsbruck, wo die Umstiegszeit sogar für einen guten Cappuccino reichte. Hatte es am Mittag noch geregnet, so zeigte sich das Wetter von seiner besten Seite, als die Gruppe um halb drei am Ötztal Bahnhof in den Ötztalbus umstieg und die Fahrtnach Obergurgl fortsetzte.

Die Zeit bis zur Abfahrt mit dem Bus über das Timmelsjoch reichte, um die leichten Reiseschuhe gegen die am Rucksack befestigten Wanderschuhe zu tauschen und noch ein wenig zu essen. Alle genossen die Panoramafahrt über die vielen Kehren von ihren erhöhten Sitzen aus.
Bemerkenswert: In Österreich und Italien läuft es mit Öffis. Jenseits der deutschen Grenze waren alle Verkehrsmittel pünktlich. Der mit zwei Stunden veranschlagte Hüttenzustieg wurde sogar etwas schneller auf gemütlichen Bergwegen bewältigt. Das kulinarische 5-Gänge-Menü um 20 Uhr im Schneeberghaus (wahlweise auch vegetarisch) entschädigte für alle Mühe.
 

Am nächsten Morgen brach die Gruppe bei strahlendem Sonnenschein und blau geputztem Himmel bereits kurz vor 8 Uhr zur längsten Etappe der gesamten Tour auf. Entlang der bekannten sieben Egeten-Seen ging es zunächst im ständigen Auf und Ab zur Grohmann-Hütte, die im obersten Winkel, am Ende des Ridnauntals gelegen ist. 

Nach einer stärkenden Rast ging es weiter zur hoch über der Grohmann-Hütte thronenden Teplitzer Hütte. Insgesamt reichlich 12 km, davon 1230 Hm im Auf- und 1000 Hm im Abstieg. Besonders die letzten knapp 400 Hm hatten es in sich. Steiles Gelände und häufige Seilversicherungen erforderten Trittsicherheit und Konzentration – und das nach bereits zurückgelegten 11 anstrengenden Bergkilometern. Purer Genuss dann für alle auf der Sonnenterasse der Teplitzer Hütte bei einem Erfrischungsgetränk mit Panoramablick auf den Großteil der zurückgelegten Wegstrecke.

Am dritten Tag stand der Wechsel zum Becherhaus auf dem Programm, erneut bei besten Wetterbedingungen. Die kürzeste, aber technisch anspruchsvollste Etappe war mit lediglich drei Stunden Gehzeit ausgeschrieben, verursachte aber beim Anblick der auf einer steilen Bergspitze errichteten Hütte bei dem einen oder der anderen ein mulmiges Gefühl. Schaffen wir das? Um es vorweg zu nehmen: Alle haben es geschafft, die steile, nahezu durchwegs versicherte Flanke hinter sich zu bringen. Bei schlechtem Wetter ist das sicherlich eine durchaus heikle Angelegenheit. So aber zauberte die Einkehr auf der Sonnenterasse bei allen Teilnehmern ein stolzes und zufriedenes Lächeln in die Gesichter.

Vier konditionsstarke Teilnehmer hatten am Vormittag, also noch vor dem Hüttenwechsel, einen Abstecher auf die Aglsspitze gemacht, etwa 770 Hm, die hin und zurück in weniger als vier Stunden bewältigt wurden. Belohnt wurde die Mühe mit einer grandiosen Aussicht vom 3000er-Gipfel bis hinüber zu den Dolomiten. Gipfelfoto mit der vergletscherten Marmolada im Hintergrund – so klar war die Sicht. 
 

Auf dem Becherhaus folgte letztendlich eine harsche Ansprache des Hüttenwirts. Unmöglich, dass eine Gruppe in zwei Gruppen ankommt und nicht endende Schimpftiraden über diese unsere vermeintlichen Anfängerfehler. Abgesehen davon, dass die Vorhaltungen unberechtigt waren, sieht Gastlichkeit eigentlich anders aus. Doch die 12 Bergsteiger focht das nicht an, zu groß war die Freude über das erreichte Ziel, das fantastische Panorama, die unfassbare Höhe über dem Gletscher. Lohn der Anstrengung war eine Nacht auf der mit 3200 m gelegenen höchsten Berghütte der Ostalpen und ein fantastischer Sonnenaufgang um 05:45 Uhr am nächsten Morgen, der immerhin sieben 
Teilnehmer zu früher Stunde aus dem Lager trieb. 
Für den folgenden Tag waren ab 15 Uhr Gewitter angekündigt. Also wieder sehr zeitig bei schönstem Bergwetter los und in den Grat zwischen Becherhaus und Signalspitze eingestiegen. Ein Weg mit Seilversicherungen und sogar einer leichten Kletterstrecke im unteren zweiten Grad. Auch das wurde mit Bravour von allen gemeistert. 

Vom Signalgipfel führt ein kurzer Grat mit leichter Blockkletterei hinüber zum Wilden Freiger, dem wohl bekanntesten Gipfel im Einzugsbereich der Nürnberger Hütte. Früher ohne Gletscherausrüstung nicht zu machen, benötigt man heute lediglich Trittsicherheit und Schwindelfreiheit. Der Klimawechsel tritt hier besonders deutlich zutage. Ein toller Blick hinüber zum Zuckerhütl, ein Gipfel inmitten des Gletschers, der im Sommer wegen Steinschlags aufgrund des Klimawandels praktisch nicht mehr bestiegen werden kann.

Der über eintausend Höhenmeter lange Abstieg zur Nürnberger Hütte war deutlich einfacher als die Gratüberschreitung vom Becherhaus zum Signalgipfel, war aber speziell im oberen Teil mit versicherten Passagen und leichter Blockkletterei gewürzt. Auch hier ist bei schlechten Wetterbedingungen große Vorsicht geboten. Die Nürnberger Hütte wurde am frühen Nachmittag erreicht, eine Stunde, bevor das angekündigte kurze Gewitter dann auch wirklich hereinbrach.
 

Am darauffolgenden Tag war ein Relaxprogramm angesagt. Der Wetterbericht sagte gegen 13 Uhr zunehmende Gewitterneigung voraus, am Morgen Bewölkung und ein paar Tropfen, danach wieder strahlenden Sonnenschein. Die Gruppe teilte sich. Vier Teilnehmer machten sich auf den Weg ins Paradies, einer am Wanderweg zur Bremer Hütte gelegenen grünen Oase im ansonsten doch recht felsigen Stubai. Die andere Gruppe hatte die Mairspitze (2800 m) zum Ziel, von dort einen nicht allzu großen Abstieg ins obere Sulzenautal und die Rückkehr über die Steilwand des Niederl zur Nürnberger Hütte. Hier boten sich erneut grandiose Aussichten auf die vom Wilden Freiger beherrschte Gipfelkette.

Der letzte Tag war dem Abstieg ins Stubaital vorbehalten. Am Endpunkt erreichte man die Bushaltestelle, zog sich um, wechselte die Schuhe und verpackte die Stöcke. Dann ging es mit dem Bus aus dem Stubaital nach Innsbruck und von dort mit dem Zug nach Kufstein und weiter nach München. Bis dahin pünktlich auf die Minute. Dann die Pünktlichkeitsmeldung für den geplanten Zug nach Regensburg von der DB Navigator App – ein Fake, wie sich herausstellen sollte.

Denn kurz vor 
Abfahrtszeit zeigte das Display über dem Bahnsteig eine deutliche Verspätung, aber nicht auf der App. Wem ist zu glauben? Kurze Mehrheitsentscheidung: Wir nehmen den nächsten Zug direkt nach Nürnberg. Denn das schien sicherer zu sein, gerade auch mit der verlässlichen S-Bahn nach Feucht. Und so war es auch: Mit Verspätung von lediglich einer halben Stunde kamen alle Teilnehmer gegen 19:30 Uhr glücklich wieder zu Hause an. 

Ein herzlicher Dank von allen Teilnehmern gilt dem Organisator der Fahrt, Gunther Reichenbach. Er hatte alles perfekt im Griff, immer einen Plan B und auch einen Plan C, der zum Glück nie benötigt wurde. Aufregend war es manchmal aber schon. 

Fazit: diese Bergwanderwoche war nichts für Leute mit schwachen Nerven – für alle anderen ein unvergesslicher Hochgenuss. 

Volker Güther